THESEN ZUR KULTURPOLITIK
von TIKK - Temporäre Intervention Kasseler Künstler
1
Eine Stadt bezieht ihre Attraktivität aus der Lebendigkeit ihrer Kultur.
2
Die hier lebenden Produzenten aus den Bereichen Kultur und Kunst sind die Basis jeder kommunalen Kultur.
3
Die finanzielle und infrastrukturelle Förderung der Produzenten ist die Grundaufgabe der Kulturpolitik.
4
Die Förderung kontinuierlicher Arbeit schafft hier langfristig eine sichere Quantität und Qualität.
5
Man muss lernen, dass die Attraktivität einer Stadt durch nichts so
sehr gesteigert wird, wie durch die Faszination einer lebendigen
Kulturszene. Kassel hat in dieser Hinsicht noch viel nachzuholen.
6
Die sog. Kulturwirtschaft ermöglicht nicht das kulturelle Leben, sondern verwertet die Arbeit der Produzenten.
Der Profit der Kulturwirtschaft bedeutet die Enteignung der Produzenten.
Die Produzenten bedienen die Mietforderungen, ihre Arbeit
legitimiert die Personalkosten der Ämter und Kulturhäuser, die
Produzenten sichern die Einnahmen der Werbewirtschaft und eines Teils
der Gastronomie, der Veranstaltungstechniker etc. ... und über all das
wiederum Steuereinnahmen der Stadt. Und wenn alles bezahlt ist gehen
viele Produzenten wieder mit leeren Taschen nach Hause.
7
Die kulturellen Traditionen einer Stadt müssen immer im Hinblick auf
ihren Nutzen für eine lebendige Kultur betrachtet werden. Tradition und
aktuelle Produktion müssen in einem sinnvollen Verhältnis stehen. Die
Lebenden haben im Zweifelsfall den Vorrang vor den Toten.
8
Die Ideologie vom Alleinstellungsmerkmal bezieht ihren Charme aus der
unverhohlenen Logik des Tourismus. Dadurch wird für Touristen in Kassel
ein Angebot geschaffen, das zugleich dem Aufbau einer attraktiven und
lebendigen Stadt widerspricht. Adressat dieser Politik sind Touristen
und das Touristengewerbe. Nur bedingt die Menschen hier.
9
Das führt zu einer Zombiekultur, in der die großen Toten der
Vergangenheit ihr permanentes Stelldichein genießen, der lebendige Rest
sich aber bettelnd vor geschlossenen Rathaustüren trifft und ‘Rettet
Mich‘ schreit.
10
Eine Überzahl von Großereignissen behindert entschieden den Aufbau einer lebendigen Kultur.
11
Die Legitimation kostenintensiver Institutionen (z.B. Staatstheater)
ist zu überprüfen und die inhaltliche Arbeit neu auszurichten. In die
vertikale Struktur der Institutionen (wir geben- ihr nehmt) ist die
horizontale einzugliedern (Arbeit mit und für...Produktionen in und mit
Stadtteilen/Stadtteilgruppen/Künstlern vor Ort).
12
Dem Ausbau des musealen Kulturbereichs (der Museen, Archive, Programme
des Theaters...) muss gegengesteuert werden zugunsten einer Kultur
zeitgenössischer Produzenten.
(z.B.: statt Szeemann- Archiv Finanzierung regelmäßiger Ausstellungen
für Kasseler Künstler u. a. mehr: z.B. eine bessere Ausstattung
existierender Archive oder Bibliotheken mit wissenschaftlicher
Literatur und/ oder Ausbau des skandalös unzureichenden Bestandes an
Partituren zeitgenössischer Musik).
13
Es gilt, Inhalte und Ideen zur Diskussion zu stellen. Keine spektakelhaften Events.
14
Intensive Nutzung der innerdisziplinären Netzwerke Kasseler Künstler -
Austausch grenzüberschreitend statt Schmoren im eigenen Saft.
15
Kulturpolitiker und Verantwortliche der Verwaltung müssen immer einen
genauen Einblick in die Aktivitäten der Kultur- und Kunstszene haben.
Dies geht NICHT vom Schreibtisch aus.
16
Quoten, Sponsoring, Zwang zu fragwürdigen Kooperationen: all das behindert eine lebendige Kultur
mehr als dass es ihr nützt.
17
Der Separatismus der existierenden Institutionen muss aufgebrochen
werden, damit Vernetzungen, Querverbindungen, arbeitsspezifische
Synergien entstehen können.
18
Orte müssen geöffnet werden für die Bedürfnisse der Produzenten hier in
der Stadt. Ausschließliche Zugriffsrechte hochsubventionierter
Einrichtungen auf ihre Spielorte müssen gelockert werden und dürfen
nicht durch horrende Mieten künstlich blockiert werden (z.B. Südflügel
Kulturbahnhof; Konzertsaal Musikakademie, TiF).
19
Verwaltung und Kulturpolitik müssen transparenter werden, die undemokratische Entscheidungskultur gehört abgeschafft.
20
Schaffung von handlungsfähigen Beratungs- und Entscheidungsgremien mit
Produzenten, Politikern und Verwaltungsfachleuten, die nach dem
Rotationsprinzip abgelöst werden. Veranstalter und Vermittler könnten
als beratende Organe in den Gremien mitarbeiten.
21
Zur Vorbereitung, Durchführung und Begleitung dieser Gremien wäre eine
PERMANENTE KULTURPOLITISCHE KONFERENZ einzurichten. Diese Konferenz
könnte die Basis für eine demokratische und qualitätsvolle Kultur in
Kassel werden. Sie könnte sich um wichtige Inhalte kümmern, z.B. die
notwendig anliegende Einführung eines Kulturtickets; die Durchsetzung
von Ausstellungshonoraren für Künstler; die Rekommunalisierung der
Musikschulen; die Aufgabe der Anbindung von Mitarbeitern in Betrieben
und Verwaltungen an die Kasseler Kultur (spezielles Kulturticket);
u.v.m.
22
Das Steuerwesen muss im Hinblick auf diese Aufgaben geändert werden (z.B. Gewerbesteuerreform).
Die vorhandenen Etats neu überdacht und eventuell umstrukturiert werden.
ERLÄUTERUNGEN zu den
THESEN ZUR KULTURPOLITIK
von TIKK - Temporäre Intervention Kasseler Künstler
1
Eine Stadt bezieht ihre Attraktivität aus der Lebendigkeit ihrer Kultur.
In der bisherigen Kulturpolitik gilt der Satz: Kultur ist für die
Menschen da. Leider entspricht bereits die oberflächliche Analyse nicht
dieser These. Zum einen erschwert die durch Geld vermittelte Form
unserer gesellschaftlichen Beziehungen jede inhaltliche
Auseinandersetzung mit kulturellen Produktionen, zum anderen sind die
Rezipienten (und auch Produzenten) von Kultur und Kunst selbst bereits
in so hohem Maß Opfer einer Anpassung an ein sie entfremdendes System,
welches sie seit Jahrzehnten und Jahrhunderten ausschließlich auf die
Bedürfnisse einer kapitalistischen Ökonomie zurichtet. Die
Warenproduktion des Kapitalismus schafft einen Menschentyp, dessen
Selbstverständnis immer stärker durch schnellstmöglichen Konsum von
Waren und unmittelbare Befriedigung im Gebrauch derselben geprägt ist.
Ich konsumiere also bin ich.
Der kulturell interessierte und künstlerisch tätige Mensch wird in der
Verwertungsmaschine des Kapitalismus zerrieben bis zur Unkenntlichkeit.
Fortschrittliche Kulturpolitik hat hier ihr Ziel: die Ermöglichung der
Menschen als emanzipierte Menschen, als nicht mehr durch die Praxis
ihrer kapitalistischen Produktion Gegängelte.
Dem Produzenten gegenüber steht die Misere des Publikums. Diese Misere
beginnt dort, wo es zum einen selbst Produzent seiner Produkte ist (in
den Fabriken, Firmen, Dienstleistungsbereichen) - aber von der
Verfügung über diese Produktion herausgehalten wird (ein im höchsten
Maße undemokratischer, ja diktatorischer Vorgang). Die Kompensation
dieser Entmachtung soll in der sog. Freizeit erfolgen. Die Zeit ist
knapp, die Befriedigung - oder was dafür gehalten wird - muss schnell
erfolgen. Sich Zeit lassen, Muße haben, die Arbeit verlangsamen,
unterbrechen - das alles darf nicht sein, schadet dem Profit.
Dieser Misere muss eine fortschrittliche Kulturpolitik gegensteuern.
2
Die hier lebenden Produzenten aus den Bereichen Kultur und Kunst sind die Basis jeder kommunalen Kultur.
Der Ausgangspunkt einer Kulturpolitik unter dem Primat der Produzenten kann also nur zweierlei sein:
zum einen die globale und wohl noch in weiter Ferne liegende Umsetzung
vergesellschafteter und emanzipierter Produktionsformen - und zweitens,
der auf diesem langen aber notwendigen Weg zu tätigende Versuch, so
viel wie möglich davon bereits auf nationalem, regionalem oder
kommunalem Wege zu realisieren.
Der Ausgangspunkt jeder fortschrittlichen kulturellen oder
künstlerischen Praxis, sowie einer diese unterstützenden Politik,
müssen die Produzenten sein. Jeder Versuch, scheinheilig einzuklagen,
dass wir uns an den Quoten des Publikumszuspruches orientieren müssten,
führt dazu, dass die Produzenten ihre entfremdete Arbeit so wie bisher
verrichten.
Aber sind die Künstler und sog. Kulturschaffenden nicht spezifische Dienstleister für das Publikum?
Unter den herrschenden Bedingungen sind kulturelle und künstlerische
Arbeiten immer eingepasst ins System der Warenproduktion. Trotzdem sind
sie mehr. Sie sind auch ein Angebot zur sozialen Kommunikation, zur
Auseinandersetzung, zur Entwicklung der allgemeinen und konkreten
Möglichkeiten des Mensch Seins.
Man braucht sich nie und in keinem Fall je Gedanken darüber zu machen,
ob man ein Publikum erreicht. Ob 1 Million oder nur zehn Menschen: jede
Arbeit hat ihre unmittelbare Berechtigung, weil sie auf mehr abzielt
als auf ihre Verwertung.
Jeder Produzent und jede Produzentin hat einen gewissen Berührungsgrad
mit einem Teil der Menschen, die man als Publikum bezeichnet. Die einen
einen größeren, die anderen einen kleineren. Das liegt oft an der Natur
der Sache, will heißen, einer gewissen Zugänglichkeit oder Sperrigkeit
von kulturellen oder künstlerischen Arbeiten. Aufs Ganze gesehen können
wir davon ausgehen, dass die Interessen aller, der Produzenten wie der
Rezipienten, erfüllt werden, wenn man die Vielfalt der Möglichkeiten
zulässt und fördert.
Aktuell geschieht das Gegenteil: der Popanz der Quote will uns sagen,
dass alles, was nicht wirklich die Massen anspricht, dass alles, was
nicht die dicke Kohle einbringt in diesem unserem System nichts wert
ist und deshalb auch keine Existenzberechtigung hat. All diese
Argumentationsmuster unterliegen einer einzigen Größe: der
Geldverwertung. Sie berücksichtigen nicht im mindesten die Bedürfnisse
der Menschen nach persönlichem Ausdruck, nach Experimenten, nach der
Lust am Spiel, in der erst der Mensch in all seinen Fähigkeiten
wirklich zu sich kommen kann.
Sich an der Praxis der lokalen kulturellen und künstlerischen
Produktion zu orientieren heißt kommunalpolitisch, sich einen Überblick
zu verschaffen, was hier unter welchen Bedingungen produziert wird, was
aus einem Verständnis kapitalkritischer Produktionsprozesse hier
gefördert und gefordert werden müsste und wie die Prämissen der
Kulturpolitik dahingehend verändert werden müssen, dass sie sich
tatsächlich auf die Vielfalt der Arbeiten beziehen und nicht so sehr
auf die Quote oder auf den Represäntationscharakter kultureller Events.
Es ist leider nach wie vor gängige Praxis der Kulturämter, dem Bauer
mit dem größten Misthaufen auch noch die meiste Gülle zu liefern.
3
Die finanzielle und infrastrukturelle Förderung der Produzenten ist die Grundaufgabe der Kulturpolitik.
Kleines Beispiel für infrastrukturelle Förderung:
Kassel ist eine cleane Stadt. Wer einmal durch die Stadtmitte geht,
weiß nach einer Stunde immer noch nicht, was in Kassel läuft. Die
Schaufenster sind clean, die Plakatwände sind selten, die Straßenbahnen
dem bigbusiness verpflichtet. In der Zeitung fehlt vieles, Wichtiges
geht unter, die Anzeigenblättchen bringen keine Informationen.
Aber es gibt soviel, das gehört und gesehen werden will.
Kunst und Kultur leben vom Zeigen. Aber es ist ein schlechter Start etwas zu zeigen, wenn es nicht angezeigt werden kann.
Kassel hat definitv eine Informationslücke im Außenbereich der Kulturwerbung.
es fehlen überall Stellwände, Plakatwände, Schaukästen. Gerade an
Stellen mit vielen Menschen: auf Plätzen, vor oder in Bahnhöfen, vor
Kinos, Theatern, Museen.
Es ist ein schlechter Witz, dass z.B. durch Brandvorschriften
Plakatwände mit kulturellen Veranstaltungshinweisen im Kulturhaus
Schlachthof (und Dock 4 ebenso) nicht mehr vorhanden sind. Völlig
verrückt so was.
In der HNA muss man fast schon auf Knien bitten, wenn man seine
Veranstaltung mal etwas vorbereitet oder nachbereitet haben will.
Ansonsten hängt alles vom Zufall dort ab.
Die öffentliche Wahrnehmbarkeit von Kultur und Kunst muss im
städtischen Interesse liegen. Auch wenn Plakatwände nicht immer sauber
sind und Dreck machen - sie vermitteln unmittelbar und schnell das
kulturelle Leben einer Stadt. Allein schon in der Form ihrer
permanenten Schmuddeligkeit durch überquellende Informationen bekommt
man das Gefühl, dass hier was läuft in der Stadt.
Auch wäre es nötig, die Damen und Herren Unternehmer davon zu
überzeugen, dass ein Teil ihrer ach so sauberen Schaufenster und
supertollen Waren sicher keinen Schaden litte, wenn das eine oder
andere Plakat hier zur Aufhängung gelangte. Stattdessen ist cleanness
angesagt, in den Schaufenstern wie in den Köpfen. Es gibt nichts
Langweiligeres als die Kasseler Einkaufsmeile.
Oder:
Infrastrukturelle kostengünstige Maßnahmen könnten sein:
der zentralisierte weitere Ausbau einer werbefreien unabhängigen
Plattform für Kunst und Kultur in Kassel (Nordhessen), in
Zusammenarbeit mit der vom Kulturnetz e.V. erstellten
Kulturtopographie. Incl. Veranstaltungs- und Ausstellungskalender,
Kontaktadressen, Projektvorstellungen, Porträts von Akteuren etc.
Interaktionsfähigkeit wäre wichtig, weil insbesondere bei Kunst die Einzelrezeption angesprochen also auch abgefragt ist.
Aufstellen von öffentlichen Kulturterminals (an stark frequentierten Knotenpunkten) zur Abfrage dieser Inhalte.
Dies könnte auch Basis eines geschlossenen Intranet für die Kulturschaffenden und Künstler sein.
4
Die Förderung kontinuierlicher Arbeit schafft hier langfristig eine sichere Quantität und Qualität.
Es kann auch überlegt werden, ob die Institutionen der sog. Hochkultur
sich hier n die Pflicht nehmen lassen können, indem z.B. herausragende
Leistungen eines Komponisten der Musikakademie durch eine
Werkaufführung des Orchesters des Staatstheaters prämiert wird.
Oder auch mal für eine bestimmte Zeit ein ‚öffentlicher Auftrag‘ erteilt wird: Lehrauftrag, künstlerisches Projekt etc.
Die Frage wäre zu stellen: ist das künstlerische und kulturelle Niveau
der in Kassel ansässigen Produzenten hoch genug, um durch
kontinuierlich Förderung eine veritable Bandbreite hochwertiger
Arbeiten hervorzubringen, die zudem geeignet wären, die Lebensqualität
im Hinblick auf die kulturellen Bedürfnisse in Kassel zu heben.
Die klare Antwort. ja! Es müsste nur der Mut vorhanden sein, daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen.
Als politische Repräsentanz des bürgerlichen Milieus und mitsamt ihrer
Verwaltung hat die Stadt Kassel Angst vor den in der Stadt agierenden
Produzenten.
Und: der Prophet gilt nichts im eigenen Land. Eine bekannte Tatsache.
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Man muss lernen, dass die Attraktivität einer Stadt durch nichts so
sehr gesteigert wird, wie durch die Faszination einer lebendigen
Kulturszene. Kassel hat in dieser Hinsicht noch viel nachzuholen.
Unter anderem sollte ein wesentlicher Schwerpunkt jeder kommunalen
Kulturpolitik sein, gegen die Auswirkungen eines Systems anzugehen, das
viele, allzu viele Menschen ins soziale und kulturelle Abseits treibt.
Beispiele:
Seit einiger Zeit schon ist der Rückwärtsgang in der Frauenpolitik
deutlich bemerkbar. Traditionelle Haus und Herd - Vorstellungen nehmen
Überhand. Dabei ist es entscheidend wichtig, Frauen, die in kulturellen
Zusammenhängen oder als Künstlerinnen arbeiten, eine Sicherheit zu
geben im Hinblick auf die Ausübung ihres Berufes, insbesondere in
Fällen von Schwangerschaft, Familienarbeit oder Alleinerziehung.
Was machen Arbeitslose mit ihrer Zeit? Wie formulieren Jugendliche ihre
Vorstellungen in einer Situation ohne Zukunftsperspektiven? In welchen
Stadtvierteln müssen welche Initiativen unterstützt oder angeregt
werden? Welche Möglichkeiten des kulturellen Ausdrucks liegen brach und
könnten Unterstützung gebrauchen? In welcher Form? Ist Kulturpolitik
der Versuch, Freizeitbeschäftigung zu organisieren oder ist es mehr?
Ist es nicht nötig, die Burgenmentalität der Hochkultur mit ihren
hochgelegten Schwellen zu knacken und die Damen und Herren der Museen
und des Theaters in die Stadtviertel zu bitten?
Z.b. das Orchester reist: aber nicht ins Ausland, sondern in die
Stadtteile. Nicht ins Kaufhaus zur Stimulation der Warenzirkulation,
sondern dorthin, wo noch nie einer live eine Geige oder ein Fagott
gesehen hat. An solchen Punkten wird’s schön schwierig: was spielen die
in der Nordstadt oder in Niederzwehren? Was produziert das Theater in
Rothenditmold? Koproduktion des Ensembles in einem Stadtviertel mit
Menschen vor Ort? Aufführungen im Stadtviertel und im Theater? Was sich
da ändert? Bestimmt nicht nur der Kanon der Stücke.
Und da gäbe es noch viel viel mehr - wozu es nicht einmal großer Finanzen bedürfte.
...und auch umgekehrt, also, dass das Theater Räume und Logistik öffnet
für Aktivitäten aus der Region. Das wird bürokratisch nur über
Kooperations- bzw. Dienstleistungsverträge gehen. Ob damit auch
Mittelflüsse verbunden sein müssen stellt sich zunächst in Frage,
solange alles aus einem Kulturtopf abgefrühstückt wird... Das ist
natürlich fiskalischer Horror – und gerade deshalb so lustig. In diesem
Zusammenhang müssen dann die finanztechnischen Buchungsverfahren auf
ihre Sinnhaftigkeit überprüft werden, denn nicht jede städtische
Kulturleistung muss unbedingt nach betriebswirtschaftlichen
Gesichtspunkten abgerechnet werden. Oft sind das nur fiktive
Buchungskosten, die dann die Kulturschaffenden aber zu zahlen haben.
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Die sog. Kulturwirtschaft ermöglicht nicht das kulturelle Leben, sondern verwertet die Arbeit der Produzenten.
Der Profit der Kulturwirtschaft bedeutet die Enteignung der Produzenten.
Die Produzenten bedienen die Mietforderungen, ihre Arbeit
legitimiert die Personalkosten der Ämter und Kulturhäuser, die
Produzenten sichern die Einnahmen der Werbewirtschaft und eines Teils
der Gastronomie, der Veranstaltungstechniker etc. ... und über all das
wiederum Steuereinnahmen der Stadt. Und wenn alles bezahlt ist gehen
viele Produzenten wieder mit leeren Taschen nach Hause.
7
Die kulturellen Traditionen einer Stadt müssen immer im Hinblick auf
ihren Nutzen für eine lebendige Kultur betrachtet werden. Tradition und
aktuelle Produktion müssen in einem sinnvollen Verhältnis stehen. Die
Lebenden haben im Zweifelsfall den Vorrang vor den Toten.
Der Pflege der überlieferten Tradition wird in Kassel viel Raum und Geld gegeben.
Das führt dazu, dass das lebendige kulturelle Leben, das Kassel zu
bieten hat, nur eine schwache Unterstützung erhält. Das mag aus Gründen
des Tourismus - also wiederum der Einkünfte kleinerer oder größerer
Unternehmen im Hotel- und Reisegewerbe - durchaus seine Berechtigung
haben, dabei wird jedoch vergessen, dass eine Stadt nicht von der
kurzzeitigen Stationierung Durchreisender zu einer attraktiven
Lebensqualität verholfen wird. Denn genau hier wird eine Stadt wieder
zugerichtet einzig aufs Ziel der eigenen Verwertung fürs touristische
Publikum. Die Stadt als Ware - und leider nicht als Ort der sozialen
und kulturellen Kommunikation.
Jede moderne Diskussion, die um die Frage nach dem
Alleinstellungsmerkmal eines kulturellen Angebotes kreist, verfängt
sich in der Schlinge der Inhaltslosigkeit und der Bedeutungslosigkeit.
Die Pflege von Traditionen, insbesondere die Aufrechterhaltung von
Museen und Staatstheatern muss auf den Prüfstand. Nicht alles was
überliefert wird muss erhalten bleiben. Es graut einem jetzt schon vor
den Bergen der historischen Überlassungen in hundert Jahren. Wie wollen
die Menschen dann mit den Massen an Denkmälern der Vergangenheit fertig
werden?
Man muss den Mut zur Lücke wiederfinden. Lasst die Toten ihre Toten begraben, kümmern wir uns um die Lebenden.
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Die Ideologie vom Alleinstellungsmerkmal bezieht ihren Charme aus der
unverhohlenen Logik des Tourismus. Dadurch wird für Touristen in Kassel
ein Angebot geschaffen, das zugleich dem Aufbau einer attraktiven und
lebendigen Stadt widerspricht. Adressat dieser Politik sind Touristen
und das Touristengewerbe. Nur bedingt die Menschen hier.
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Das führt zu einer Zombiekultur, in der die großen Toten der
Vergangenheit ihr permanentes Stelldichein genießen, der lebendige Rest
sich aber bettelnd vor geschlossenen Rathaustüren trifft und ‘Rettet
Mich‘ schreit.
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Eine Überzahl von Großereignissen behindert entschieden den Aufbau einer lebendigen kommunalen Kultur.
In den big events, deren Sinnhaftigkeit äußerst fragwürdig ist, verpuffen wichtige Gelder für den kommunalen kulturellen Aufbau.
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Die Legitimation kostenintensiver Institutionen (z.B. Staatstheater)
ist zu überprüfen und die inhaltliche Arbeit neu auszurichten. In die
vertikale Struktur der Institutionen (wir geben-ihr nehmt) ist die
horizontale einzugliedern (Arbeit mit und für...Produktionen in und mit
Stadtteilen/Stadtteilgruppen/Künstlern vor Ort).
Für eine fortschrittliche Kulturpolitik darf die Unantastbarkeit
traditioneller Förderstrukturen gerade im Hinblick auf Museen, Theater
und Großereignisse keine unumstößliche Tatsache sein. Hier gehört
einiges auf den Prüfstand. Selbst wenn es bei den etablierten
Zuwendungen bliebe, müsste doch inhaltlich die Arbeit der Institutionen
anders strukturiert werden. Kultur und Kunst müssen in Zeiten der
sozialen Entsolidarisierung zwischen den Menschen, in Zeiten der
Degradierung von Menschen zu bloßen Konsumschweinen, in Zeiten der
Kriminalisierung jeglichen Widerspruchs, in solchen Zeiten müssen Kunst
und Kultur dorthin geschickt werden, wo ihr potentielles Publikum sich
befindet - und nicht in den Tempeln der Kunst auf dieses harren. Das
setzt inhaltlich die Analyse der gesellschaftlichen Situation voraus,
setzt voraus, dass demgemäß eine kulturelle und künstlerische Strategie
entwickelt wird. Setzt also nicht voraus: wir machen jetzt mal wieder
ein bisschen Programm nach dem alten Kanon der Werte; sondern setzt
voraus: was brennt uns auf den Nägeln? Was wollen und müssen wir sehen
und hören? Woran müssen wir arbeiten?
Es setzt voraus: die Produzentensprache zu erlernen anhand der
Bedürfnisse die offenkundig sind - wenn auch zunehmend
unartikulierbarer für die meisten Menschen.
Der Einsatz von Fördermitteln muss sich an einem Programm orientieren,
das den lebenden Menschen ihre Möglichkeiten Mensch zu sein hier und
heute nicht nur vor Augen hält, sondern sie zum Tun, Machen, Gestalten
und Umgestalten anregt.
Hier geht’s um Auseinandersetzungen, um neue Schwerpunkte, um heftige Kämpfe mit den Verwaltern langjährig etablierter Pfründe.
Hier geht es aber auch um finanzpolitische, steuerliche Eingriffe in die gegenwärtige Struktur der herrschenden Ökonomie.
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Dem Ausbau des musealen Kulturbereichs (der Museen, Archive, Programme
des Theaters...) muss gegengesteuert werden zugunsten einer Kultur
zeitgenössischer Produzenten.
Problematik Szeemann-Archiv:
- Kassel hat vor Jahren das international renommierte „Archiv Frau und Musik“ nach Frankfurt ziehen lassen.
- Kassel hat jede Menge unterfinanzierte Archive, Bibliotheken, Kulturhäuser. Hier wird dringend Geld gebraucht.
- Der Ankauf eines Archivs (auch wenn es inhaltlich sicher sehr
interessant wäre) zieht enorme Folgekosten nach sich. Es droht wie
überall eine mittel- und langfristige Mangelfinanzierung, die dann auf
die Arbeit und die Verfügbarkeit des Archivs sich negativ auswirkt.
- Das Archiv soll der Grundbaustein für ein Institut für die Ausbildung
von Kuratoren werden. Die Frage, ob nicht bereits das Kuratoren-System
seinen Zenit überschritten hat wird nicht gestellt.
- Statt des Szeemann Archivs: Finanzierung regelmäßiger Ausstellungen
für Kasseler Künstler u.a. mehr: Auch: eine bessere Ausstattung
existierender Archive oder Bibliotheken mit wissenschaftlicher
Literatur und/ oder Ausbau des skandalös unzureichenden Bestandes an
Partituren zeitgenössischer Musik); oder: eine Ermöglichung längerer
Bibliotheksöffnungszeiten und Zeiten künstlerischer Studien.
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Es gilt, Inhalte und Ideen zur Diskussion zu stellen. Keine spektakelhaften Events.
Die Praxis der Kooperation von Künstlern und sog. Kulturschaffenden
existiert nicht. Jeder versucht seine Pfründe nicht mit anderen teilen
zu müssen.
Dabei wäre es keine große Sache, hier Gelegenheiten der Kooperation für die Produzenten zu initiieren.
Konkurrenz belebt das Geschäft - und tötet alle, die verlieren. Der zweite Teil des Satzes wird ja gerne vergessen.
Der kapitalistische Konkurrenzgedanke ist tödlich für jede
eigenständige kulturelle oder künstlerische Leistung. Dass auf der
Suche nach Originalität eine bestimmte Anzahl von künstlerischen
Revolutionären von den Kulturverwertern hoch gehandelt wird entspricht
der inneren Logik des Systems. Denn die Zahl der „Genies“ muss zum
einen gering sein - sie muss es sein, sonst hätten die Verwerter ihres
Wertes ein Legitimationsproblem, wenn es zu viele Genies gibt. Zum
anderen heißt das, das Originales und Neues immer zu einem bestimmten
Teil notwendig zur Legitimierung des Konkurrenzsystems beitragen kann.
Es lebt zwar die Konkurrenz gerade von der Innovation, die dem
Konkurrenten gegenüber einen Vorteil verspricht, aber der
Kulturindustrie ist auch klar, dass ein großer Teil des Absatzes durch
den Mainstream des Alten und Bekannten erfolgt. Wer sein Geld für
Beethoven ausgibt weiß eben was er kriegt (oder glaubt es zu wissen) -
bei zeitgenössischen Komponisten sieht die Sache schon anders aus.
Das Verhältnis von Tradition und Neuem ist durch die kapitalistische
Warenform aufs Schärfste pervertiert. Selbstverständlich freuen sich
Menschen immer wieder an Neuem. Aber unter der Praxis der Konkurrenz
entsteht Neues nicht aus inneren Gründen sondern aus der Notwendigkeit,
wahrgenommen zu werden, auf dem Markt zwischen den vielen
Marktschreiern der Lauteste, Bunteste, Verrückteste, kurzum derjenige
zu werden, den alle kennen müssen. Immer wieder schiebt sich im Prozess
kultureller und künstlerischer Produktion die Verwertung der
selbstproduzierten Waren vor die inhaltliche Arbeit. Das Motto lautet:
womit kann ich reüssieren?
Daraus folgt das Gegeneinander der Produzenten, der Kampf aller gegen alle, das survival of the fittest.
Kein Gedanke an Inhalte.
14
Intensive Nutzung der innerdisziplinären Netzwerke Kasseler Künstler -
Austausch grenzüberschreitend statt Schmoren im eigenen Saft.
Wichtig ist, es zu ermöglichen qualitätsvolle Kunst und Kultur nach
Kassel zu Gast holen und Kasseler Künstlern und Kulturschaffenden
Chancen über Kassel hinaus zu eröffnen. Dabei könnten die
innerdisziplinären Kontaktnetzwerke der einzelnen Kasseler Produzenten
in alle Welt weit besser genutzt werden.
Vorsicht!: Wir sollten aufpassen nicht in eine „Standortkonkurrenz“ in
Sinne von „WIR in Kassel“ abzurutschen. Da gibt es in KS einen
frucht(furcht)baren Nährboden.
15
Kulturpolitiker und Verantwortliche der Verwaltung müssen immer einen
genauen Einblick in die Aktivitäten der Kultur- und Kunstszene haben.
Dies geht NICHT vom Schreibtisch aus.
Sie sind auch Teil des Publikums. Das kulturinteressierte Publikum steckt in einer Misere.
Das heutige Arbeitsleben ist durch den fast vollständigen Mangel an
Demokratie gekennzeichnet. Die Produkte der Arbeit stehen nicht in der
Verfügung der Produzenten. Vielmehr sehen sich die Produzenten bloß als
Arbeitskräfte, die ihren Preis haben. Sonst nichts. Es verwundert darum
nicht, wenn die so erlernte Selbstverständlichkeit einer inhaltlichen
Beliebigkeit der eigenen Arbeit zusammenfällt mit einem sich stets
steigernden Desinteresse, jenseits reiner Lohnpolitik sich als
verantwortlich für das Gesamt des gesellschaftlichen Lebens zu sehen,
d.h. sich auch verantwortlich und interessiert zu zeigen an kulturellen
Arbeiten. Die adäquate Folgerung ist für den herkömmlichen Produzenten:
am Arbeitsplatz habe ich nichts zu sagen, in der Freizeit lasse ich
mich bedienen. Die Abschaffung der Teilhabe am ökonomischen und
kulturellen Prozess jeder Gesellschaft ist die Folge. Ich bediene, ich
werde bedient.
Die Maxime dieser Haltung ist: schnelle und schmackhafte Befriedigung.
Wie bei McDonald. Gefordert wird dann eben auch: McMusic, McLiterature,
McTheatre etc.
16
Quoten, Sponsoring, Zwang zu fragwürdigen Kooperationen:
all das behindert eine lebendige Kultur mehr als dass es ihr nützt.
Es wird viel über Vermittlung geredet. Vermittlung der Produktionen
braucht Geld. Sponsoring oder Kooperationen sollen helfen. Es sind
Steckenpferde moderner Kulturpolitik, neben dem der Kulturwirtschaft,
die gerade so vehement entdeckt wird.
Jede gute Produktion, eingebettet in eine sorgfältig geplante
Infrastruktur und eingebettet in sorgfältig geplante Strategien ihrer
Präsentation vermittelt sich selbst. Sponsoren und Kooperationspartner
aber legen in der Regel andere Maßstäbe an und sorgen so für starke
Irritationen.
Die selbsttätige und direkte Auseinandersetzung mit kulturellen
Arbeiten und künstlerischen Werken ist die Basis jedes Verstehens. Das
erfordert Zeit und die Lust an der Vertiefung in die Sache.
Kulturpolitik muss lang und mittelfristig dieses Moment in allen
gängigen und neu zu etablierenden Bildungseinrichtungen im Auge
behalten. Das kulturell-künstlerische Potential des Menschen zeichnet
ihn als solchen aus.
Selbstverständlich zeichnet ihn auch seine Fähigkeit aus, sich unters
Lohndiktat des Privatunternehmers zu ducken und alle seine Potenzen aus
erzwungener Liebe zur entfremdeten Arbeit unentwickelt zu lassen. Aber
fortschrittliche Kulturpolitik wird schwerlich jene sklavischen
Tugenden fördern, sondern das genaue Gegenteil.
Die Frage heißt: wem der Produzenten und wem der potentiellen
Adressaten nutzt welche kulturelle Vermittlungsstrategie am besten. Wer
braucht wen wann, oder könnte brauchen.
Ziel der Vermittlung ist die Verbindung herzustellen zwischen Menschen,
die sich um denselben Inhalt herum zusammenfinden, aus einem
gemeinsamen Interesse.
Dieser Inhalt kann nicht die Geldform unseres täglichen Verkehrs sein.
Es darf nicht sein, dass alle kulturellen und künstlerischen Arbeiten
das Ziel haben, lediglich einen hohen Preis für das Produkt zu
realisieren.
Das Sponsoring schadet jeder inhaltlichen Vermittlung, weil es eben
nicht auf einem inhaltlichen Interesse von gleich zu gleich beruht,
sondern weil es Kultur und Kunst nur unter den Prämissen der
Warenzirkulation begreift. Hier ist keine gemeinsame Ebene zu finden.
Die Firmen sind ordentlich zu besteuern, die Steuern über die Kommunen
auszuschütten. Und anteilig dem Kulturetat zukommen zu lassen.
Vorläufig so, jedenfalls.
Alle Nebeninteressen jenseits der der Produzenten, Rezipienten und
ihrer unmittelbaren Verbindung, zerstören über kurz oder lang den
demokratischen Austausch von Kultur und Kunst.
Beispiel: will man Neue Musik in der Brüderkirche hören, heißt das,
sich auch noch unerträgliche Predigten anhören zu müssen. Ein wahrer
Ekel. Oder: jene Ausstellung im Südbahnhof, bei der die Bilder an den
Wänden durch ein in der Mitte des Raumes auf einem Podest
präsentierten, neuen Automodells kontrastiert werden. Ekelhaft.
Dort wo aus wirtschaftlichen Erwägungen gesponsert wird entsteht eine
asymmetrische Situation - Rang und Wert des Sponsors übertragen sich in
gewissem Sinne auf die ausgestellte Kunst, und gewichten diese neu im
Rahmen einer Bedeutungsübertragung. Denn: wenn schon BMW hier sponsert,
dann muß´es auch was Gutes sein. Wer es nicht bis zu BMW schafft, ist
eben nicht so gut.
Gegen solche Mechanismen muss eine fortschrittliche Kulturpolitik arbeiten.
17
Der Separatismus der existierenden Institutionen muss aufgebrochen
werden, damit Vernetzungen, Querverbindungen, arbeitsspezifische
Synergien entstehen können.
In Kassel existiert immer noch ein recht ausgeprägter Hermetismus.
Wenige schauen über ihren spezifischen Tellerrand, sind fast
ausschließlich mit sich selbst und einem mehr oder weniger kleinen
Kreis Verschworener zugange. Hier gäbe es eine ganze Menge
Kontaktmöglichkeiten zum Nutzen der gesamten Kasseler Kultur. Das wäre
durch geeignete Maßnahmen kulturpolitischer Steuerungsstrategien zu
erreichen. Z.B. Ausschreibung interdisziplinärer Projekte zur
Vernetzung der verschiedenen Kunstformen in Kassel; oder: Förderung von
Projekten zwischen Studenten der Hochschulen mit Kasseler Künstlern;
oder: ortsspezifische Angebote an verschiedene Initiativen in Kassel:
z.B. Arbeiten speziell für das Gießhaus/Ballhaus/Areale der Aue etc.pp
Es gibt da eine Unzahl von Möglichkeiten.
18
Orte müssen geöffnet werden für die Bedürfnisse der Produzenten hier in
der Stadt. Ausschließliche Zugriffsrechte hochsubventionierter
Einrichtungen auf ihre Spielorte müssen gelockert werden und dürfen
nicht durch horrende Mieten künstlich blockiert werden (z.B. Südflügel
Kulturbahnhof; Konzertsaal Musikakademie, TiF).
Jede kulturelle oder künstlerische Aktivität braucht Orte der
angemessenen Kommunikation. Wenn man sich von der falschen Ideologie
von Großereignissen einmal gelöst hat, muss man sich auch klar darüber
sein, dass die kleineren und mittleren Präsentationsformen selten jene
Orte bespielen können, die zu ihnen passen, einfach, weil sie die
horrenden Mieten nicht zahlen können (Beispiel Südflügel des
Kulturbahnhofs).
Kommunale Kulturpolitik muss sich neu überlegen, wie sie die
Infrastruktur der verschiedensten Orte zugänglich macht für alle
Produzenten, ob mit dickem oder schmalem Etat.
19
Verwaltung und Kulturpolitik müssen transparenter werden, die undemokratische Entscheidungskultur gehört abgeschafft.
Es gibt keinerlei öffentliche Kontrolle über die Strategien der
Verwaltung und ihrer kulturellen Förderungen. Im Kulturamt läuft man
immer gegen eine Wand des Lächelns und der Versagung.
20
Schaffung von handlungsfähigen Beratungs- und Entscheidungsgremien mit
Produzenten,Politikern und Verwaltungsfachleuten, die nach dem
Rotationsprinzip abgelöst werden. Veranstalter und Vermittler könnten
als beratende Organe in den Gremien mitarbeiten.
21
Zur Vorbereitung, Durchführung und Begleitung dieser Gremien wäre eine
PERMANENTE KULTURPOLITISCHE KONFERENZ einzurichten. Diese Konferenz
könnte die Basis für eine demokratische und qualtitätsvolle Kultur in
Kassel werden. Sie könnte sich um wichtige Inhalte kümmern, z.B. die
notwendig anliegende Einführung eines Kulturtickets; die Durchsetzung
von Ausstellungshonoraren für Künstler; die Rekommunalisierung der
Musikschulen; die Aufgabe der Anbindung von Mitarbeitern in Betrieben
und Verwaltungen an die Kasseler Kultur (spezielles Kulturticket);
u.v.m.
Für Schüler und Studenten, für Arbeitslose und Asylanten, frisch
Zugezogene und der Sprache nicht mächtige sollte es ein fein
abgestuftes Kulturticket geben - bis hin zu freiem Eintritt in
städtischen Einrichtungen, incl. der Theater (hier wäre es einfach, da
nie alle Vorstellungen ausverkauft sind; man könnte auch eine
Quotierung einführen, d.h. jeweils 10% der Sitzplätze bleiben bis 10
Minuten vor Kassenschluß für Freikarten an spezielle Gruppen
reserviert. Manchen Künstlern wäre es lieber, wenn das nur halbvolle
Haus noch ein bisschen besser besetzt wäre.)
Die Vermittlung in den Schulen ist ein besonderes Problem, das die
Curricula auf Länderebene betrifft. Aber auch hier wären starke
Korrekturen am herkömmlichen Modell vorzunehmen.
KulturTicket: Warum nicht auch als Angebot an Belegschaften (ähnlich
dem JobTicket der KVG). Anregung von Kultur-Arbeitskreisen in den
Betrieben. Gegenleistung der Kulturschaffenden: Einführung,
Heranführung und Beratung...
Fortschrittliche Kulturpolitiker müssten sich die Frage stellen, wie
Kunst und Kultur in die Betriebe und Verwaltungen zu bringen ist. Eine
Öffnung der demokratie- und zumeist auch kulturfreien Zonen hinter den
Werkstoren und Verwaltungspforten wäre wünschenswert. Kultur findet
doch in der Regel nur in der Chefetage statt und dann auch nur in der
Form als Ausstellung von Anlagekapital. Hier ist Kooperation mit der
Wirtschaft sinnvoll und angesagt.
Im Übrigen glänzt die Parteien auch nicht gerade mit eigenständigen kulturellen Aktivitäten.
Apropos Rekommunalisierung der Musikschulen: Die „Privatisierung“ der
nordhessischen Musikschulen in e.V.s sollte aufgehoben werden.
Kommunale Musikschulen (oder noch besser eine gemeinsam von den
Kommunen getragene nordhessische Musikschule) könnten Ressourcen sparen
und gleichzeitig Angebot und Flexibilität verbessern. Widerstände sind
hier z.T. die lokalen Vorstände oder auch Schulleiter, die um ihren
Einfluss bangen. Leidtragende sind seit langem die Musikschullehrer die
auf ihrem Rücken bei untertariflicher Bezahlung und schwankenden
Deputaten die Finanzrisiken der Vereine ausbaden.
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Das Steuerwesen muss im Hinblick auf diese Aufgaben geändert werden (z.B. Gewerbesteuerreform).
Die vorhandenen Etats neu überdacht und eventuell umstrukturiert werden.
Die Gefahr, dass durch Gremien/Strukturen (auch wenn sie ausnahmsweise
basisdemokratisch legitimiert sind), die Tendenz aller Verwaltung zur
Bürokratisierung, mit entsprechenden Kosten, die Verteilungsspielräume
für die Förderung von konkreten Projekten einschränken könnte. An sich
wäre es wünschenswert einen Verwaltungstopf und einen Topf für
inhaltliche Angebote zu trennen. Es bleibt aber das Dilemma, dass die
Forderung nach mehr Infrastruktur und struktureller Dienstleistung
zunächst auf der Ausgabenseite zu Buche schlägt. Wenn „man“ nicht
bereit ist, auch auf der Einnahmeseite aktiv zu werden (Steuern,
Umlagen etc.) wird sich das Problem kaum lösen lassen.
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